Ayahuasca: Amazonas oder Nachbarschaft?

Ayahuasca: Amazonas oder Nachbarschaft?

Das erste Mal hörte ich von Ayahuasca vor etwas über zwei Jahren, als ein Freund es mir empfahl. Ich fand es faszinierend, aber war zugleich skeptisch. Es verging eine geraume Zeit, bis ich mich ernsthafter damit auseinandersetzte. Ich war in eine Lebenskrise geraten, die ich eher als eine spirituelle Krise einordnete. Eine Standard-Psychotherapie wie sie die Krankenkassen zahlen, war da denkbar ungeeignet. Daher entschied ich mich, es mit Ayahuasca zu probieren.

Das Naheliegendste war, an einer Zeremonie in Berlin teilzunehmen, wo es zwar illegal ist, aber das schert die Berliner Szene bekanntlich wenig. Mit dieser Möglichkeit hatte ich mich zwar beschäftigt, doch bevor ich sie umsetzen konnte (oder wollte?), dachte ich ernsthaft über eine Peru-Reise nach. Nicht nur für das Ayahuasca. Ich brauchte ein Abenteuer, das mich aus meiner Routine holt. Ich hatte in meinem Leben bis dahin nicht viele Fernreisen unternommen, daher gefiel mir die Vorstellung, in ein Flugzeug zu steigen und allein an einen versteckten Ort im Dschungel zu reisen, ohne zu wissen, was dort auf mich warten würde. Einen Tag vor meinem 37. Geburtstag entschied ich mich, diese Idee umzusetzen und begann sofort mit der Reiseplanung. Sechs Wochen später stieg ich ins Flugzeug. Als ich meinen Freunden von der Entscheidung erzählte, stellten sie mir alle die gleiche Frage: Warum denn nicht hier in Berlin?

Nun, warum geht man in ein Restaurant, wenn man auch zu Hause kochen kann? Zugegeben, für viele Menschen, die Ayahuasca als letzte Hoffnung betrachten, ist eine Reise nach Südamerika keine Option, sei es aus finanziellen oder gesundheitlichen Gründen. Daher will ich gar nicht darüber urteilen, ob oder ob man nicht an Zeremonien in Deutschland teilnehmen sollte. Wenn ich jedoch dieselbe Entscheidung (unter den gleichen Umständen) erneut treffen müsste, würde ich mich wieder für den Dschungel entscheiden. Ich finde es deutlich beruhigender, die Medizin in einem Land einzunehmen, in dem sie als schützenswertes Kulturerbe gilt, statt in einem, das sie vollkommen unhinterfragt als Droge klassifiziert und verbietet. Es gibt jedoch auch noch zahlreiche weitere Gründe:

Die äußere Reise unterstützt die innere

Die Reise nach Peru war ein großes Abenteuer, das aus deutlich mehr spannenden Erlebnissen bestand als nur dem Ayahuasca. Allein mit meinem Rucksack auf einen anderen Kontinent zu fliegen war schon eine heilsame Erfahrung. Man verlässt seine Komfortzone, lässt Sicherheiten hinter sich und ist gezwungen, mit dem Unbekannten umgehen. Man ist auf sich gestellt und entdeckt dabei, wieviel Mut und Entschlossenheit in einem schlummert. Allein das weckt schon neue Lebensgeister. Durch all die erforderliche Vorbereitung (der Diät, der Reiseplanung, den Impfungen, dem Packen, dem langen Flug etc.) fokussierte sich mein Geist schon im Vorfeld auf das Ereignis wie auf ein internationales Großprojekt. Die Anstrengungen gaben dem Heilungsprozess eine deutlich größere Bedeutung und eine Wertigkeit, die er bei einem leicht zugänglichen Wochenende in Brandenburg wohl kaum gehabt hätte. Ich bin mir sicher, dies wirkt sich auch auf das Ergebnis aus.

Umgeben von Leidensgenossen

Im Retreat Center stieß ich auf eine Gruppe von Menschen, die alle mehr oder minder in derselben Situation waren wie ich: Jeder hatte einen ernsten Grund, nach Iquitos zu kommen, seien es Depressionen, Sucht oder chronische Krankheiten. Wir alle durchliefen den gleichen Entscheidungsprozess, brachten ein kleines Vermögen auf für die Reise, durchlebten die gleichen Ängste, hatten zuvor dieselben Gespräche mit Freunden und Familie geführt und teilten ähnliche Hoffnungen, dass sich in unserem Leben etwas Entscheidendes zum Positiven wenden würde. Wir kamen von drei verschiedenen Kontinenten und fünf verschiedenen Ländern – und dennoch machten wir genau dasselbe durch.

Eine Gruppe zu haben, mit der ich über längere Zeit gemeinsam den Prozess durchlief, war für mich ein wichtiger Bestandteil der therapeutischen Erfahrung. Nach einer völlig verstörenden Zeremonie ist man froh mit jemandem sprechen zu können, der eine ähnliche Erfahrung gemacht hat. Diese Gruppe wird man eher in einem Retreat finden, in dem man ein oder zwei Wochen verbringt, als irgendwo in der Nachbarschaft, wo nach der Zeremonie jeder nach Hause geht.

Hinzu kommt die Qualität bzw. Motivation der Teilnehmer: Es wäre ausgesprochen störend gewesen, jemanden dabei zu haben, der nur einen spannenden Drogentrip sucht oder einfach aus Neugier teilnimmt. Diesen Leuten begegnet man in Berlin wahrscheinlich eher als in Iquitos. Die Hindernisse, die man überwinden muss, um in den Dschungel zu kommen, dienen bereits als Filter, um diejenigen auszusortieren, die aus den falschen Beweggründen teilnehmen.

Es ist ein Prozess, kein Ereignis

Eines der stärksten Argumente für mich ist jedoch, dass es einen signifikanten Unterschied gibt zwischen einer einzelnen Ayahuasca-Zeremonie und einer Sequenz von Zeremonien innerhalb kurzer Zeit. Bevor ich aufbrach, fragte ich mich, warum manche Leute so viele Zeremonien hintereinander besuchen. Ich hatte die naive Idee, dass eine Zeremonie ausreichte, um das ganze Leben umzudrehen und dich als neue Person zu entlassen. Mein Gott, was habe ich mich da geirrt!

Meine erste Zeremonie war so etwas wie eine Bestandsaufnahme meines Lebens. Es wurden mir keine Ursachen oder Lösungen präsentiert, nur der Status Quo wurde auf eindrucksvolle, symbolisch überspitzte Art dargestellt. Als ich aufwachte, dachte ich zuerst: „Ernsthaft? Einfach nur ne Bestandsaufnahme? Danke für nichts!“ Ich war aufgebracht, enttäuscht und deprimiert. In den folgenden Zeremonien wurde mir klar, dass sich da ein Prozess entfaltete. Er begann mit einer Phase der Inventarisierung über eine Phase der Konfrontationen mit gewissen Problemen hin zu einer Phase der Lösung, die mich schließlich mit Hoffnung, innerem Frieden und Optimismus entließ.

Um eine solche Sequenz zu durchlaufen, braucht man Zeit. Eine einzelne Sitzung wird vermutlich niemals diese Tiefe erreichen.

Ayahuasca gehört in den Amazonas

Das stärkste Argument für mich ist jedoch die kulturelle und ethische Frage: Ayahuasca ist eine heilige Tradition aus dem Amazonas-Regenwald und Curanderos werden jahrelang ausgebildet, um damit zu arbeiten. Egal ob man Ayahuasca für eine rein chemische Reaktion im Gehirn hält, oder – wie die Menschen im Amazonas – daran glauben, dass sich der Geist der Pflange mit uns verbindet und uns eine Botschaft sendet: Allein aus Respekt vor der Kultur, deren Technologie wir nutzen, sollte der kulturelle Kontext bestmöglich gewahrt werden. Die Medizin gehört in den Dschungel und für mich ist es eine Frage des Respekts, sie besuchen zu gehen, statt sie zu uns einfliegen zu lassen.