Ayahuasca-Tagebuch: Sinnvoll oder überflüssig?

Ayahuasca-Tagebuch: Sinnvoll oder überflüssig?

Alle Retreat-Zentren, die ich während meiner Recherche im Voraus durchgesehen hatte, empfahlen, während des Aufenthalts ein Tagebuch zu führen. Mir schien das absolut sinnvoll, da das Festhalten meiner inneren Erfahrungen zumindest in kritischen Phasen immer schon Teil meines Lebens war. So war es für mich völlig klar, ein schönes Tagebuch zu kaufen und mir vorzunehmen, es während der Reise jeden Tag mit Berichten zu füttern. Als ich im Retreat Center auf meine Gruppe traf, erfuhr ich, dass dies nicht für jeden selbstverständlich war. Einige meinten, sie würden den Vorteil des Schreibens nicht sehen. Sie hätten nie Tagebuch geschrieben und würden doch ohnehin nicht mehr darin lesen. Manche notierten nur ein paar Zeilen pro Tag.

Es ist eine persönlichen Entscheidung, ob man sich während eines Ayahuasca-Prozesses die Zeit für das Schreiben nimmt oder nicht. Ich jedoch war froh, mich dazu entschlossen zu haben. Der Prozess, etwas aufzuschreiben, hilft bereits, mehr Klarheit über das Erlebte zu bekommen und das Thema tiefer zu reflektieren. An meinem Vorsatz festzuhalten, jeden Tag detailliert zu beschreiben, war jedoch nicht immer einfach. Manchmal, besonders nach schwierigen Nächten, musste ich mich dazu zwingen, die Dinge im Detail aufzuschreiben, weil ich mich beim Schreiben nicht mit bestimmten Dingen beschäftigen wollte. An anderen Tagen hätte ich es vorgezogen, in der Hängematte zu entspannen, statt eine Stunde mit konzentrierter Gehirnarbeit zu verbringen. Wenn ich zurückschaue, bin ich jedoch froh, mir diese Mühe gemacht zu haben.

Verwandlung von Chaos in eine Erzählung

Tagebuch schreiben hilft, Ordnung in etwas zu bringen, das an sich erstmal überhaupt keine logische Struktur hat. Ayahuasca-Erfahrungen können so willkürlich und chaotisch daher kommen, dass man sich selbst am nächsten Tag noch völlig überfordert mit diesen verrückten Inhalten fühlt. Durch das Schreiben verwandelt man die Erinnerungsfetzen in eine halbwegs kohärente Erzählung, so dass der Verstand den Inhalt zu Sinn verarbeiten kann. Während man über das Erlebte in schriftlicher Form nachdenkt, stößt man sogar oft auf Details, die man längst vergessen hatte. Dies passiert beim Schreiben deutlich häufiger als beim mündlichen Erzählen.

Die lebendigste Version festhalten

Sobald man wieder zu Hause ist, wird man mit Fragen überschüttet. Freunde, Familie, irgendwelche Leute die gehört haben, dass man beim Ayahuasca war, alle wollen wissen, wie es denn nun genau war. Ich habe meine Geschichten immer wieder und wieder erzählt, jedoch in einer „entschäften“ Version, in der ich meistens die wirklich persönlichen (oder zu verrückten) Aspekte wegließ. Je öfter man dies tut, desto mehr schleifen sich die Erzählungen ab – und mit ihnen auch die eigene Erinnerung. Die Version des Erlebten, die man unmittelbar nach der Zeremonie im Kopf hat, hat eine sehr kurze Halbwertzeit und ist unwiederbringlich verloren, wenn sie nicht festgehalten wird.

Unterstützung des Integrationsprozesses

Die eigentliche Arbeit beginnt nach der Rückkehr. Ayahuasca kann einem viele schöne und beeindruckende Erkenntnisse bescheren, doch sie müssen irgendwie in das eigene Leben eingebaut werden, damit sie ihre Wirkung entfalten. In den ersten Wochen nach dem Retreat hatte ich viele Momente, in denen ich froh war, das Tagebuch zu haben, weil sich meine Sicht auf die Themen und Motive aus meinen Visionen ständig änderten. Als ich wieder mit dem „echten“ Leben konfrontiert war, entdeckte ich in dem Material meiner Visionen viele neue Bedeutungsebenen und Verflechtungen. Dafür nahm ich oft das Tagebuch in die Hand, um bestimmte Details noch einmal nachzulesen.

Fazit

Man kann sich zum Tagebuchschreiben entschließen oder auch nicht. Fakt ist jedoch: Je weniger man seine Erfahrungen aufzeichnet, desto mehr gehen sie verloren. Der körperliche Teil des Heilungsprozesses mag davon unberührt sein, doch viele Botschaften, die man von la Madre erhält, werden verblassen bevor man sie wirklich durchdrungen, geschweige denn umgesetzt hat. Das Niederschreiben ist also das Sinnvollste, um lange mit dem Erlebten arbeiten zu können und das Maximum aus der Erfahrung herauszuholen.